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Sonntag, 12. Februar 2023

Wie liest man die Bibel

 


Der Ausdruck „Urchristentum“ findet sich erstmals ab etwa 1770 in deutschsprachiger Literatur der Aufklärung. Er beinhaltet ein Geschichtsbild, wonach das Ursprüngliche von späteren Verfremdungen frei gewesen und daher als normatives Ideal der folgenden Kirchengeschichte gegenüberzustellen sei. Trotz dieser Verfallstheorie wurde der Begriff in der historischen Forschung als Bezeichnung der Entstehungsepoche des Christentums akzeptiert. Um die darin enthaltene Wertung zu vermeiden, bevorzugen manche Historiker den Begriff „Frühchristentum“. Beide Begriffe werden jedoch synonym verwendet. Die genaue Abgrenzung der Epoche ist unabhängig vom verwendeten Begriff umstritten.

Kritiker an Fehlentwicklungen der Kirchengeschichte greifen oft auf das Urchristentum und seine im NT gesammelten, als normatives Wort Gottes aufgefassten Schriften zurück. Viele christliche Konfessionen und Sekten beanspruchen die Kenntnis des Urchristentums für sich, um so ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen christlichen Richtungen zu legitimieren.

Das Wirken des Jesus von Nazaret wird meist als Voraussetzung, nicht Teil des Urchristentums eingeordnet, da Jesus ein Jude aus Galiläa war, der das Judentum reformieren wollte. Die Jesusbewegung war eine der „innerjüdischen Erneuerungsbewegungen“.[2] Der Glaube an Jesus Christus entstand erst nach Jesu Tod. Da aus den ersten Nachfolgern Jesu die Gründer der Jerusalemer Urgemeinde und Autoren der ältesten NT-Texte (Bekenntnisformeln, Logienquelle, vormarkinischer Passionsbericht) hervorgingen, ist jedoch keine strenge Abgrenzung zum Auftreten Jesu möglich.

Oft wird die Epoche des Urchristentums mit der Entstehungszeit der NT-Schriften gleichgesetzt, auch aus dem Interesse, den NT-Kanon von der folgenden Kirchengeschichte abzuheben. Die Gleichsetzung ist problematisch, da einige urchristliche Schriften nicht in das NT aufgenommen wurden und die meisten Autoren der NT-Schriften schon zur zweiten oder dritten Generation der Christen gehörten. Daher versuchte man, das „Apostolische Zeitalter“ der Apostel vom „Frühkatholizismus“ späterer NT-Autoren zu unterscheiden. Jedoch verliefen die Übergänge zu kirchlichen Strukturen im Urchristentum fließend, so dass sich „Frühkatholizismus“ nicht als Epochenbezeichnung eignete. Oft wird das Urchristentum mit der Epoche gleichgesetzt, auf die die Apostelgeschichte des Lukas und die Pastoralbriefe zurückblicken und von der sie ihre eigene Zeit unterscheiden. Dann endet das Urchristentum um 100 und umfasst nicht die späteren NT-Schriften. Als Endpunkt der Epoche gilt dann oft das ebenfalls um 100 entstandene Evangelium nach Johannes.

Andere sehen die endgültige Trennung des Urchristentums vom Judentum als Epochengrenze an. Diese vollzog sich mit dem Bar-Kochba-Aufstand (135), in dessen Folge die Römer Jerusalem zerstörten und den Juden die Ansiedlung dort verboten. Damit hatte auch das Urchristentum sein bisheriges Zentrum verloren. Spätestens jetzt erkannten auch die Römer die Christen als eigene, vom Judentum verschiedene Religionsgruppe.

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