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Donnerstag, 27. September 2018

Was ist Wahrheit?


Was ist Wahrheit? ist im Johannes-Evangelium (Joh 18,38 ) die Erwiderung des Pontius Pilatus auf die Bemerkung Jesu, in die Welt gekommen zu sein, um „Zeugnis für die Wahrheit“ abzulegen. Die Frage geht der Verurteilung Jesu zum Kreuzestod unmittelbar voraus und bleibt unbeantwortet: Pilatus wendet sich ab, ohne einer Antwort zu harren. Sie ist ein locus classicus für die Frage nach der Wahrheit als zentralem Thema der Philosophie und der Logik und ist auch vielfach künstlerisch und literarisch rezipiert und interpretiert worden. 

Die Frage des Pilatus ist in der Literatur und Kunst oft zitiert und referenziert worden, vor allem in Werken philosophischer Natur. Zwar ist sie nicht das erste oder früheste Beispiel für die konzeptionelle Hinterfragung eines Wahrheitsbegriffs, ihre kulturelle und religiöse Bedeutung durch ihre prominente Positionierung im Neuen Testament gibt ihr jedoch besondere Signifikanz.
Francis Bacon zitiert Pilatus zu Beginn seines Essays Of Truth. Seine Rede vom Jesting Pilate, vom ‚scherzenden Pilatus‘, der die Wahrheit nicht erkannt habe, weil er nicht auf sie warten wollte, wurde im Englischen zu einer Bezeichnung für die biblische Passage schlechthin und diente etwa Aldous Huxley als Titel für seinen gleichnamigen Reisebericht.
Nietzsche wiederum bezeichnete Pilatus in seiner Spätschrift Der Antichrist aufgrund seiner Frage als die einzige neutestamentliche Figur, die man wertschätzen könne:
„Habe ich noch zu sagen, dass im ganzen neuen Testament bloss eine einzige Figur vorkommt, die man ehren muss? Pilatus, der römische Statthalter. […] Der vornehme Hohn eines Römers, vor dem ein unverschämter Missbrauch mit dem Wort ‚Wahrheit‘ getrieben wird, hat das neue Testament mit dem einzigen Wort bereichert, das Werth hat, — das seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist: ‚was ist Wahrheit!‘“
Nikolai Ge machte die Frage zum Motiv seines gleichnamigen Werkes Was ist Wahrheit?, das in einer Reihe steht mit Gemälden anderer neutestamentlicher Themen, die er gegen Ende seines Lebens anfertigte. Michail Bulgakow führt die Beziehung zwischen Pilatus und Jesus in einer Binnenerzählung seines Romans Der Meister und Margarita, einem Klassiker der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, noch weiter aus und greift dabei auch die Frage nach der Wahrheit auf, die auch direkt zitiert wird.

Simon Blackburn schließlich bezeichnete das Diktum des Pilatus als „notorische Frage“, in der Relativisten und Absolutisten gleichermaßen „gefangen“ seien, da sie geradezu dazu herausfordere, auf einer „schwindelerregenden Abstraktionshöhe“ nach Antworten zu suchen.

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