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Montag, 10. September 2018

Die Kreuzigung Jesu im Islam



Im Koran wird Jesu Scheiden aus dem irdischen Leben mehrfach erwähnt. So wird von Jesu „Abberufung“ berichtet:
„Gott sagte: ‚Jesus! Ich werde dich (nunmehr) abberufen (innī mutawaffīka) und zu mir (in den Himmel) erheben und rein machen‘“
Sure 3, Vers 55: Übersetzung: Rudi Paret
Ähnlich lässt der Koran Jesus sprechen, dass er gestorben ist:
„Nachdem du mich abberufen hattest …“
Sure 5, 117: Übersetzung: Rudi Paret
Nach der Doketismustheorie wird Jesus nur zum Schein gekreuzigt. Seine Schmerzen und seine Leiden sind nur eine Illusion für die Beobachter. Jesus selbst wird stattdessen zu Gott erhoben. Hier finden sich Parallelen zu (gnostizistischen) christlich-doketischen Vorstellungen, in denen das eigentliche (göttliche) Wesen nicht getötet werden kann, wenn auch der Körper vernichtet wird.
Die Substitutionstheorie lehnt die Vorstellung einer Kreuzigung Jesu ab und geht davon aus, dass statt seiner eine andere, ihm optisch ähnliche Person gekreuzigt worden ist:
„Und (weil sie) sagten: ‚Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes getötet.‘ – Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn (oder darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber). Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber), gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet (d.h. sie können nicht mit Gewissheit sagen, daß sie ihn getötet haben). // Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben.“
Sure 4, Vers 157–158: Übersetzung: Rudi Paret
Die entscheidende Stelle im obigen Koranvers ist der Passus: „Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten)“ – im Originaltext: wa-lākin šubbiha lahum. Das Verb bedeutet allgemein „ähnlich machen“ oder „als ähnlich ansehen“, das daraus abgeleitete Substantiv (tašbīh) heißt dann „Verähnlichung“ oder „Verwechslung“. Diese Grundbedeutungen spielen auch in der Exegese des Verses eine zentrale Rolle. Der Koranexeget Ibn 'Atiya († 1151 oder 1152) aus Córdoba führt hierzu aus:
„Über das Wie des Tötens und der Kreuzigung sowie über diejenigen, auf den die Ähnlichkeit (Jesu) geworfen wurde, gibt es viele verschiedene Meinungen, und es gibt nichts vom Gesandten Gottes, was feststeht.“
Ibn 'Atiya: nach Heribert Busse
In der Tat verzeichnen die Traditionssammlungen keinen Prophetenspruch, in dem die fragliche Koranstelle erläutert wäre. at-Tabari, der in seinem Korankommentar die Auslegung dieser Koranstelle: („Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich“) auf 5 Seiten darstellt, zitiert ebenfalls keinen Prophetenspruch, sondern referiert lediglich die ältesten Koranexegeten, unter ihnen Mudschāhid ibn Dschabr († 722) und andere aus dem späten 7. und frühen 8. Jahrhundert.
Die Koranexegeten waren bestrebt, die Koranstelle (Sure 3, Vers 55) und das dort erhaltene Gotteswort „mutawaffī-ka wa-rāfiʿu-ka“ – „ich werde dich (nunmehr) abberufen und zu mir (in den Himmel) erheben“ genau zu deuten. Der Koranexeget und Theologe Muqātil ibn Sulaimān († 767 in Basra) bestätigt zwar, daß das entsprechende Verb zu „mutawaffī-ka“ (tawaffā) „den Tod durch Gott bewirken“ bedeutet, dies im Fall Jesu jedoch erst nach dessen Rückkehr eintreten wird. Für Muqātil liegt hier ein hysteron proteron (arabisch: taqdīm al-muʾaḫḫar) vor, denn es heißt an der Stelle: „ich werde dich aus dieser Welt zu mir erheben und dich abberufen, nachdem du vom Himmel zur Zeit des Daddschāl herabgestiegen bist.“ aṭ-Ṭabarī und Ibn Kathir stellen mehrere exegetische Traditionen zusammen, in denen ebenfalls nicht vom Tod, sondern nur von einem Schlaf Jesu die Rede ist. Denn spätestens seit al-Hasan al-Basri ließ man selbst den Propheten zu den Juden sprechen: „ʿĪsā ist nicht gestorben, er wird (vielmehr) vor dem Tag der Auferstehung zu euch zurückkehren“.
Außerhalb der Koranexegese beschäftigt sich auch eine weitere literarische Gattung des islamischen Schrifttums mit der koranischen Kreuzigungsgeschichte: die Prophetenlegenden (qiṣaṣ al-anbiyāʾ). Ihr ältester Vertreter Wahb ibn Munabbih († gegen 728–732) berichtet im Korankommentar von at-Tabari, Jesus habe unter seinen Jüngern jemanden gesucht, der für ihn sterben würde. Als ein Freiwilliger, dessen Name im Bericht unerwähnt bleibt, hervortrat, ergriffen ihn die Juden.
„Gott hatte ihn ja in die Gestalt Jesu verwandelt. Sie ergriffen ihn und töteten und kreuzigten ihn. So wurde bewirkt, daß sie (ihn für Jesus) hielten (fa-min ṯamma šubbiha lahum) und glaubten, sie hätten Jesus getötet. Genauso glaubten die Christen, es sei Jesus. Und Gott hob Jesus am gleichen Tag empor.“
Wahb ibn Munabbih: at-Tabari
Wahb ibn Munabbih, der als Kenner der Schriften der Juden und Christen im islamischen Schrifttum bekannt war, schildert in einer Überlieferungsvariante bei at-Tabari die Passionsgeschichte ausführlich und schließt seinen Bericht mit den Worten ab: „Bis sie (die Juden) ihn zu dem Holz brachten, an dem sie ihn kreuzigen wollten. Da hob Gott ihn zu sich empor, und sie kreuzigten, was ihnen (Jesus ähnlich gemacht) wurde“.
Die Kreuzigung wurde somit durch eine Veränderung verhütet, die einen anderen Jesu ähnlich gestaltete. Dabei wird aber die Himmelfahrt Jesu offenbar in einem irdischen und nicht in einem verklärten Leib angenommen.
Dieser alte Bericht wird in der koranexegetischen Literatur mehrfach und mit einigen Varianten überliefert. In der späteren Koranexegese, die stets auf die Berichte von Wahb ibn Munabbih zurückgreift, identifiziert man den bis dahin unbekannten Gekreuzigten mit Judas Iskariot: „Gott warf die Ähnlichkeit Jesu auf denjenigen, der sie zu Jesus geführt hatte – er hieß Judas – und sie kreuzigten ihn an seiner Statt, wobei sie glaubten, es sei Jesus.“ Diese Version wird auch im sogenannten Barnabasevangelium aufgegriffen.
Erwähnenswert ist bei der islamischen Schilderung der Kreuzigungsgeschichte, dass die Exegese nicht vom Kreuz (ṣalīb) spricht, sondern vom „Holz“, oder „Baum“. In der alten, auf Wahb ibn Munabbih zurückgeführten Prophetenlegende spricht man vom Holz (ḫašaba); bei späteren Exegeten ist von einem „erhöhten Holz“ oder von einem „erhöhten Ort“ die Rede. Diese Vorstellung hat in der arabischen Tradition ihren Ursprung: Einem Bericht von Ibn Ishaq zufolge kreuzigten die Mekkaner einen Medinenser, indem sie ihn auf ein Holz erhoben, fesselten und mit Lanzenwürfen töteten. Ähnliche Motive finden sich auch in der arabischen Poesie.
Zwar waren die Evangelien bereits im späten 8. Jahrhundert in arabischen Übersetzungen bekannt, doch ist die Argumentation gegen die Kreuzigungsgeschichte mit Hinweis auf die im Koran mehrfach erwähnte Schriftfälschung (tahrif) durch die Christen im islamischen Schrifttum relativ spät zu beobachten. Fachr ad-Din ar-Razi († 1209 in Herat) argumentiert in seinem Korankommentar zur Textfälschung mit der Bemerkung: „Die Überlieferung (tawātur) der Christen geht auf wenige Leute zurück, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich zur Lüge verabredet hatten.“ Etwa hundert Jahre später behandelt Ibn Taimiya († 26. September 1328 in Damaskus) Sure 4, Vers 157 in seinem Buch Die richtige Antwort auf diejenigen, die die Religion Christi abgeändert haben unter der Überschrift: „Verfälschungen (taḥrīfāt) in der Thora und im Evangelium“ und weist dort den Tod Jesu am Kreuz zurück.

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