In seinen frühen Jahren war Baudrillard ein
vergleichsweise typischer ‚linker französischer Intellektueller‘, der in Jean-Paul Sartres Zeitschrift Les temps
modernes mitarbeitete und von Denkern wie seinem marxistischen Doktorvater Henri Lefebvre und den linksradikalen Situationisten
beeinflusst wurde, aber auch durch Strukturalisten wie Roland Barthes und ethnologisch beeinflusste
Soziologen wie Marcel Mauss und Georges Bataille.
Schon seine ersten Bücher befassen sich mit
Kulturtheorie, Ökonomie und Sprachkritik, oft mit Bezügen zur aktuellen,
gesellschaftlichen Situation und provokanten oder zugespitzten Thesen als
thematische Anknüpfungspunkte. Damit bewegte er sich im Umfeld sozialistischer
Theorien, erweiterte diese jedoch durch ausgiebige Analysen der kulturellen
Sphäre und der Konsumgesellschaft, sowie durch den Versuch einer Verknüpfung
von Materialismus und Strukturalismus, in dessen Zuge er Marx’ Kritik der
politischen Ökonomie zeichentheoretisch interpretiert.
Um 1975 wendet er sich, beeinflusst durch die
ethnologischen Studien von Marcel Mauss zum Gabentausch und von Bataille zur Verschwendung
bzw. zum Potlatsch, dem Thema des „symbolischen Tausches“
zu. Fortan spielt der symbolische Tausch für Baudrillard die doppelte Rolle
eines Gegenprinzips sowohl zur politischen Ökonomie des Kapitalismus wie auch
zum marxistischen Paradigma der Produktion, dessen Verhaftung im
kapitalistischen Denken er in Le miroir de la production (1975) vehement
kritisiert.
In Der symbolische Tausch und der Tod (1976)
setzt Baudrillard diesen ethnologisch geprägten Ansatz fort, indem er die
Todesriten außereuropäischer Kulturen mit der „Verdrängung des Todes“ in der
westlichen Kultur vergleicht und dabei ein Verschwinden des symbolischen
Tausches mit dem Tod konstatiert.
Später gab es thematische Überschneidungen zum
Schaffen des US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett.
Simulationstheorie
Der symbolische Tausch und der Tod enthält auch eine
erste systematische Fassung seiner Simulationstheorie. Baudrillard
unterscheidet drei Zeitalter des Zeichens bzw. „drei Ordnungen des Simulakrums“: Nach dem Zeitalter der „Imitation“ und demjenigen der „Produktion“ leben
wir heute im Zeitalter der „Simulation“ – einem gesellschaftlichen Zustand, in
dem Zeichen und Wirklichkeit zunehmend ununterscheidbar werden. Die Zeichen, so
Baudrillard, haben sich von ihrem Bezeichneten gelöst und seien „referenzlos“
geworden. Die Zeichencodes der modernen Städte, der Werbung und der Medien gäben nur noch vor,
entschlüsselbare Botschaften zu sein. In Wahrheit dagegen seien sie reiner
Selbstzweck, mit dem das Gesamtsystem der Gesellschaft aufrechterhalten wird,
damit „jeder an seinem Platz bleibt“. Die Zeichen „simulieren“ eine künstliche
Realität als Hyperrealität, anstatt
eine wirkliche Welt abzubilden.
Vorformen und Andeutungen dieser Idee hatte
Baudrillard bereits in seinen vorherigen Schriften formuliert: In das System
der Dinge untersuchte er die Zeichenfunktion von Gebrauchsgegenständen, die
längst wichtiger geworden sei als ihre technische Funktion. Konsumgüter
existierten nicht primär als Gegenstände des Gebrauchs, sondern sie würden in
ihrer ideellen Dimension als Zeichen für einen
bestimmten Lebensstil konsumiert. Der Konsum, so schloss Baudrillard damals,
sei eine absolut idealistische
Praxis. Deren Sinn sei Substitution, die als praktizierter Hedonismus und Alternative zur Aufgabe
individueller Wünsche genutzt werden könnte. Aber erst seit Der symbolische
Tausch und der Tod, sowie in zahlreichen darauf folgenden kleineren
Schriften, z.B. der "Transparenz des Bösen", wird das Konzept der
Simulation zentral.
Die Entwicklung hin zur Simulation, die er auch als
„strukturale Revolution des Werts“ bezeichnet, spiele sich parallel zu den
Zeichen der Massenmedien auch im Bereich der Ökonomie ab. Dort entspreche ihr die Verselbständigung
der Konsumtion auf Kosten der Produktion,oder die Verselbständigung des
Tauschwerts auf Kosten des Gebrauchswerts.]Baudrillard
entwickelt somit, auch mit Bezug auf Ferdinand de Saussure
und mit einer historisch-kritischen Analyse verschiedener Kulturstufen, eine
Kritik der Marxschen ökonomischen Theorien von außerhalb der Ökonomie.
Medientheorie
Auch die medientheoretische Stoßrichtung der
Simulationstheorie, die vor allem auf Massenmedien wie das Fernsehen gemünzt ist, hatte Baudrillard bereits
in einer früheren Schrift, Requiem für die Medien
(1972), vorgedacht. Darin wendet er sich unter anderem gegen die zeitgenössische
Kritik der Medien als Instrument der Manipulation. Stattdessen entwickelt er
sein Konzept der „Simulation“ als Alternative zu den klassischen
Manipulationsmodellen. In Requiem für die Medien zeichnet Baudrillard
ein kritisches Bild der Massenmedien, deren Apparaturen dazu dienten,
Kommunikationsprozesse hierarchisch zu vereinseitigen, anstatt sie zu
befördern: „... die Medien sind dasjenige, welches die Antwort für immer
versagt, das, was jeden Tauschprozess verunmöglicht, es sei denn in Form der
Simulation einer Antwort, die selbst in den Sendeprozess integriert ist.“
Anknüpfend an Marshall McLuhans Werk The Medium is the Massage
(„Das Medium ist die Massage“) betont Baudrillard gegen Hans Magnus
Enzensberger und dessen Aufsatz Baukasten
zu einer Theorie der Medien (1970) gerichtet, dass es unmöglich
sei, Massenmedien kritisch zu
verwenden. Baudrillard spricht in diesem Zusammenhang von einer medialen „Rede
ohne Antwort“, durch welche die eigene Tätigkeit der Konsumenten behindert
würde.
Terrorismus
In den 1980er und 1990er Jahren beherrschen
Reflexionen über das scheinbare „Ende der Geschichte“ und das Verschwinden des
Ereignisses hinter der Simulation das Denken Baudrillards (Das Jahr 2000
findet nicht statt, 1984; Die Illusion des Endes oder Der Streik der
Ereignisse, 1992). Selbst der Krieg sei – als Ereignis und
konfrontative Herausforderung – "verschwunden", wie Baudrillard in
seinen kontrovers aufgenommenen Analysen zum Golfkrieg 1991 folgert.
Eine Reaktion gegen die Gleichgültigkeit der
Simulation sieht er jedoch im Terrorismus, den er bereits in den 1970er Jahren
anlässlich der Selbstmorde von
Stammheim untersucht hatte. In den Anschlägen
vom 11. September 2001 schließlich erblickt er einen Verweis auf das
Ereignis als solches, einen Versuch, durch das "reine Ereignis" den
Zirkel der Simulation zu durchbrechen, indem es dem System die „symbolische
Gabe des Todes vergelte und es damit selbst – der Logik des Gabentauschs folgend – zu einer Art Selbstmord
zwinge: „Die terroristische Hypothese heißt, dass sich das System in
Beantwortung der vielfachen Herausforderung des Todes und des Selbstmordes
selbst umbringt.“
In seinen Analysen der Terroranschläge betont
Baudrillard zugleich aber auch, dass der Terrorismus „keine zeitgenössische
Form der Revolution gegen Unterdrückung und Kapitalismus“ darstelle und nicht zu
rechtfertigen sei.In einem Interview mit dem Spiegel analysiert er den Terrorismus außerdem
als fatale, unausweichliche Reaktion auf das Machtungleichgewicht der Globalisierung. Den dadurch losgetretenen
Konflikt bezeichnet er als „Vierten Weltkrieg“ – einen Krieg „der Gattung
Mensch mit sich selbst“, der
im Unterschied zum „Dritten Weltkrieg“,
dem Kalten Krieg, ein entgrenzter, asymmetrischer und unkontrollierbarer Krieg sei,
der nicht mehr eindeutig gewonnen werden kann.
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