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Mittwoch, 17. Juni 2020

Glaubenswechsel und Asylrecht

Er ist nicht der Einzige, der in seine Heimat abgeschoben wird, obwohl dort auf „Glaubensabfall“ schwere Strafen drohen. Die größte Gruppe unter den Konvertiten in Deutschland stellen Menschen aus dem Iran.
Vermutlich ist es die wachsende Zahl von Neugetauften, die Behörden und Verwaltungsgerichte zu einem Misstrauensvorschuss bewegen. Es soll sich dabei einzig um „asyltaktische“ Konversionen handeln. Im BAMF Bescheid des jungen Afghanen heißt es, man sei nicht überzeugt, „...dass der Antragsteller aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn die Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung darstellt (…) Der Antragsteller wirkt eher intellektuell informiert, als persönlich berührt. Es ist durchaus glaubhaft, dass die Taufe und die gemeindlichen Bindungen und Strukturen sich auf sein Leben beruhigend und ordnend ausgewirkt haben bzw. auswirken. Eine enge persönliche Gottesbindung mit dem dauerhaften, ernsthaften Bedürfnis, ein zentral christlich geprägtes Leben weiterhin in Deutschland und dann auch in der Heimat zu führen, ist bei ihm jedoch nicht überzeugend erkennbar. Es fehlt an der hinreichenden Darlegung der näheren Umstände seiner behaupteten inneren Wandlung.“  

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat erst kürzlich im Fall eines afghanischen Konvertiten in der Schweiz bekräftigt, dass die Zumutung, den eigenen Glauben zu verleugnen bzw. lediglich im Geheimen zu praktizieren, als unerträglicher seelischer Druck zu charakterisieren sei und gegen das Verbot unmenschlicher und entwürdigender Behandlung verstoße. Um diese höchstrichterliche Rechtsprechung zu umgehen, wird nun also einfach unterstellt, dass die Konversion nicht aus innerer Überzeugung erfolgt sei, gewissermaßen wieder abgelegt werden könne. Für den jungen Afghanen käme jede mögliche politische oder rechtliche Änderung zu spät. Er wird nun in Kabul seine muslimische Gebetskette mit sich führen. Vielleicht betet er jedoch im Stillen das Ave Maria, wenn er die Kugeln durch die Finger gleiten lässt. / Dieter Müller

Der Umgang mit asylsuchenden Konvertiten wird wieder verstärkt diskutiert. Dabei geht es vor allem um Menschen, die vom Islam zum Christentum übergetreten sind und deswegen Angst vor Verfolgung im Herkunftsland haben. An ihren Fällen zeigen sich strukturelle Probleme des deutschen Asylrechts. Die persönlichen Berichte in diesem Info-Brief über einzelne Fälle machen deutlich: Religion ist eng mit der individuellen Persönlichkeit verbunden. Oft geht ein Glaubenswechsel nicht auf ein zentrales, einfach beschreibbares „Erweckungserlebnis“ zurück, sondern auf eine längere Entwicklung, die nicht immer vollständig nachgezeichnet werden kann. Dem stehen die Anforderungen des Asylverfahrens gegenüber. Verfolgung wegen der Abkehr von einer Religion („Apostasie“) oder wegen eines Übertritts zu einer anderen Religion („Konversion“) ist ein Fluchtgrund, der zur Anerkennung als Flüchtling führen kann. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Gerichte müssen aber zuvor festgestellt haben, dass im Herkunftsland eine solche Verfolgung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit droht. In den Fällen von Konvertiten wird eine Nachhaltigkeit des Glaubenswechsels verlangt. Der neue Glauben muss die Persönlichkeit des oder der Asylsuchenden so stark prägen, dass er nicht einfach verleugnet werden kann und deshalb Verfolgung auslösen wird. Wer kann aber feststellen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist? Die Kirchen nehmen für sich in Anspruch, vor jeder Taufe erst die Ernsthaftigkeit des Begehrens nach Aufnahme in die Christen-Gemeinschaft ausführlich geprüft zu haben. 

Dennoch ist für das BAMF und die Gerichte die Vorlage einer kirchlichen Taufurkunde nicht ausreichend, sondern man behält sich vor, die Gründe für den Glaubenswechsel selbst noch einmal eingehend zu prüfen. BAMF oder Gericht müssen vollständig von der Ernsthaftigkeit der Konversion überzeugt werden. Sonst wird der Asylantrag abgelehnt. Dies macht die Asylentscheidung stark von der „religiösen Musikalität“ der diese Entscheidung treffenden Person abhängig: Fehlt ihr ein emotionaler Zugang zum Glauben, wird sie Wissensfragen stellen, die selbst eng mit der Religion verbundene Menschen nicht beantworten könnten. Andererseits projiziert mancher Entscheider eigene Vorstellungen über das „richtige“ religiöse Verhalten auf die asylsuchende Person und fällt anhand dieser ein Werturteil über die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels, lässt aber die kulturellen und anderen Prägungen des oder der Schutzsuchenden außer Acht. 

Bei Konvertiten gibt es keine einfache Lösung. Ein Pfarrer sollte eine erwachsene Person erst dann taufen, wenn er von der Ernsthaftigkeit der Hinwendung zum christlichen Glauben überzeugt ist. Schnelltaufen, wie sie manche Gemeinschaften betreiben, sind nicht akzeptabel. BAMF und Gerichte sollten andererseits die kirchliche Taufentscheidung ernst nehmen und zumindest den zuständigen Pfarrer als Zeugen hören. Außerdem ist ein hohes Maß an Sensibilität und Empathie erforderlich, um dem Einzelfall gerecht zu werden. Entscheidungen im Hauruck-Verfahren sind hier besonders anfällig für Fehler mit lebensgefährlichen Folgen. Bei den Fällen der Apostasie kann es gar nicht um die Ernsthaftigkeit einer Hinwendung zu einer neuen Religion gehen. Denn etwa im Iran droht schon Verfolgung wegen der Abwendung vom Islam selbst – egal, ob damit ein Übertritt zu einem anderen Glauben oder die Abkehr von jedweder Religion verbunden ist. Schon für diese Abkehr sieht das iranische Strafrecht die Todesstrafe vor, denn der Abfall vom Islam gilt als todeswürdiges Verbrechen gegen Gott und die islamische Gemeinschaft. 

Selbst wenn man somit im Einzelfall eine Konversion hin zum Christentum nicht für relevant halten sollte, kann die Apostasie für sich genommen schon Verfolgung auslösen. Diese Differenzierung wird jedoch in der Rechtsprechung kaum vorgenommen. Hier ist eine Änderung dringend erforderlich, um Menschen nicht schlimmster Verfolgung im Falle der Rückkehr auszusetzen.  / Stefan Keßler


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