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Sonntag, 5. Januar 2020

Atem - Rûaḥ



Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
Die Luft einzuziehn, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.



Im Tanach, stellen „Seele“ und „Körper“ Aspekte des als Einheit aufgefassten Menschen dar. Die den Körper belebende Kraft – in religionswissenschaftlicher Terminologie die „Körperseele“ oder „Vitalseele“ – heißt im biblischen Hebräisch nefesch (נפש), neschama oder auch ru'ach (רוח). Alle drei Begriffe bezeichnen ursprünglich den Atem.
Neschama ist der Lebensatem, den laut dem Buch Genesis Gott seinem aus Erde geformten Geschöpf Adam in die Nase einblies, womit er ihn zu einem lebendigen Wesen (nefesch) machte. Die konkrete Grundbedeutung von nefesch ist „Atem“ und „Atemweg“, „Kehle“ sowie wegen des Fehlens einer begrifflichen Unterscheidung zwischen Luft- und Speiseröhre auch „Gurgel“, „Schlund“. Daher bezeichnet das Wort auch die Quelle des mit der Nahrungsaufnahme verbundenen Verlangens (Hunger und Durst, Appetit und Gier) und in erweitertem Sinne auch den Sitz von sonstigem Begehren, von Leidenschaften und Gefühlen wie Rachedurst, Sehnen und Zuneigung. Nefesch ist als der belebende Atem die Lebenskraft, die den Menschen beim Tode verlässt, und das Leben, das bedroht, riskiert oder ausgelöscht wird. Im weitesten Sinne steht nefesch auch für den gesamten Menschen mit Einbeziehung des Körpers und bedeutet dann „Person“ (auch beim Zählen von Personen). Der Mensch hat nicht eine nefesch, sondern er ist sie und lebt als nefesch. Daher wird nefesch auch als Ersatz für ein Pronomen verwendet, etwa in der Bedeutung von „jemand“. Der Gott JHWH hat eine nefesch, bei der er schwört (Am 6,8 EU).
Rûaḥ wird im Tanach auch in Verbindung mit dem Handeln Gottes gebracht. Die Autoren des Tanach nehmen an, dass JHWH die Bewegung des Windes veranlasst (Gen 8,1 EU), dass der Wind von Gott erzeugt werde („rûaḥ JHWH“ in Jes 40,7 EU) und dass Gott den Wind erschaffen habe (mit „bara“ in Am 4,13 EU). An einigen Stellen im Tanach wird rûaḥ im Sinne des „Atems Gottes“ verwendet Ps 18,16 EU. Dabei wird der Atem Gottes nicht selten mit einem kriegerischen Handeln JHWHs in Verbindung gebracht. In Jes 30,28 EU heißt es, Gottes feuriger Atem habe die Feinde vernichtet.
In der alttestamentlichen Forschung wird der Textbefund, dass der von Gott erzeugte Wind und sein Atem identisch seien, sehr kontrovers diskutiert. Einzelne Autoren bezweifeln die generelle Ineinssetzung von Wind und Atem Gottes im Tanach oder nehmen an, es handele sich um metaphorische Formulierungen. Andere Autoren vermuten, dass diese Verbindung in Epiphanievorstellungen zustande gekommen sei.
An einigen Stellen im Tanach scheint rûaḥ die Bedeutung von ‚Geist‘ anzunehmen. Es handelt sich dabei um Berichte, in denen die Rede davon ist, dass der Erzähler vom rûaḥ Gottes an einen anderen Ort gebracht worden sei (z. B. 1 Kön 18,12 EU; 2 Kön 2,16 EU). Westermann erklärt, man könnte vermuten, dass die „bewegende Kraft des Windes“ zu einer „visionären Sphäre“ verwandelt wird.
Im Tanach kommt die Rûaḥ plötzlich und unerwartet über den Menschen, sie ist stürmisch, und bringt jenen, den sie ergreift aus der Fassung. Sie verleiht außergewöhnliche Kräfte, u. a. auch die Fähigkeit zu ekstatischer Prophetie und Visionen. Nicht nur die Beziehung zu Gott, auch die Beziehungen der Menschen untereinander werden von der Rûaḥ neugeordnet, geheilt. Denen, die sie ergreift, schenkt sie ein neues, liebevolles Herz. 

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