Der Daoismus (chinesisch 道家, Pinyin dàojiā ‚Lehre des Weges‘), gemäß anderen Umschriften auch Taoismus, ist eine chinesische Philosophie und Weltanschauung und wird als Chinas eigene und authentische Religion angesehen. Seine historisch gesicherten Ursprünge liegen im 4. Jahrhundert v. Chr., als das Daodejing (in älteren Umschriften Tao te king, Tao te ching u. ä.) des Laozi (Laotse, Lao-tzu) entstand. Zwischen philosophischem und religiösem Daoismus bestehen zwar teils gewichtige Unterschiede, letztlich sind die beiden aber nicht scharf voneinander abzugrenzen.
Neben Konfuzianismus und Buddhismus ist der Daoismus eine der Drei Lehren (三教, sānjiào), durch die China maßgeblich geprägt wurde. Auch über China hinaus haben die Drei Lehren wesentlichen Einfluss auf Religion und Geisteswelt der Menschen ausgeübt. In China beeinflusste der Daoismus die Kultur in den Bereichen der Politik, Wirtschaft, Philosophie, Literatur, Kunst, Musik, Ernährungskunde, Medizin, Chemie, Kampfkunst und Geographie.
Ob es einen Denker namens Laozi (chinesisch 老子 ‚der alte Meister‘) wirklich gegeben hat, wird heute bezweifelt. Traditionell wird ihm das Daodejing (der Klassiker vom Dao und vom De) zugeschrieben. Seine Biographie ist von Legenden umrankt und äußerst umstritten. Er soll zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben, die von Unruhen und Kriegen geprägt war. Sie stellt eine Blütezeit der chinesischen Philosophie dar, da viele Gelehrte sich Gedanken machten, wie wieder Frieden und Stabilität erreicht werden könnten. Man spricht daher auch von der Zeit der Hundert Schulen. Das Daodejing enthält eine solche Lehre, die sich an den Herrscher richtet und Frieden hervorrufen will.
Das Daodejing wird auch mit dem Namen seines legendären Verfassers als Laozi bezeichnet. In seiner heutigen Form wird es in zwei Bücher mit insgesamt 81 Kapiteln unterteilt. Der erste Teil behandelt das Dao, der zweite das De. Das Buch stellt jedoch keine logisch aufgebaute Konstruktion einer Weltanschauung dar, sondern erscheint vielmehr als eine ungeordnete Sammlung mystischer Aphorismen, die zu eigener, subjektiver Interpretation anregen. Daher entstanden im Lauf der Zeit auch mehrere hundert Kommentare als Auslegungen des Texts sowie hunderte Übersetzungen.
Das Wort „Daoismus“ ist abgeleitet vom Dao (Tao), einem Begriff der chinesischen Philosophie, der bereits vor dem Daodejing verwendet wurde, aber erst in diesem Text seine zentrale Stellung und besondere, universale Bedeutung erhielt. Dao bedeutete ursprünglich „Weg“, im klassischen Chinesisch aber bereits „Methode“, „Prinzip“, „der rechte Weg“. Bei Laozi nimmt dann der Begriff des Dao die Bedeutung eines der ganzen Welt zugrunde liegenden, alldurchdringenden Prinzips an. Es ist die höchste Wirklichkeit und das höchste Mysterium, die uranfängliche Einheit, das kosmische Gesetz und Absolute. Aus dem Dao entstehen die „zehntausend Dinge“, also der Kosmos, und auch die Ordnung der Dinge entsteht aus ihm, ähnlich einem Naturgesetz, doch ist dem Dao selbst kein omnipotentes Wesen zuzuschreiben, sondern es ist Ursprung und Vereinigung der Gegensätze, womit es letztlich undefinierbar ist.
Philosophisch könnte man das Dao als jenseits aller Begrifflichkeit fassen, weil es der Grund des Seins, die transzendente Ursache ist und somit alles, auch den Gegensatz von Sein und Nicht-Sein, enthält. In diesem Sinne kann nichts über das Dao ausgesagt werden, weil jede Definition eine Begrenzung enthält. Das Dao ist aber sowohl unbegrenzte Transzendenz, als auch das dem Kosmos, dem All immanente Prinzip.
„Das Tao, das sich mit Worten beschreiben lässt, ist nicht das wahre Tao.“
– Laozi: Daodejing
Durch das Wirken des Dao wird die Schöpfung durch Zweiheit, Yin und Yang, Licht und Schatten, hervorgebracht, aus deren Wandlungen, Bewegungen und Wechselspielen dann die Welt hervorgeht.
Den Unterschied zwischen philosophischem und religiösem Daoismus, den dieser Artikel aus pragmatischen Gründen verwendet (s. o.), könnte man derart fassen, dass der philosophische Daoismus das Ideal des Weisen hat, der das Dao verwirklicht, indem er eine bestimmte Geisteshaltung einnimmt, während der religiöse Daoist danach strebt, Erleuchtung zu erlangen und das Dao zu verwirklichen, indem er durch unterschiedliche Methoden wie Meditation (Qigong, Taijiquan), Konzentration, Visualisation, Imagination, Atemtechniken, Alchemie, Ritual und Magie aus Geist und Körper, dem Mikrokosmos, ein Abbild des Makrokosmos erschafft und auf diese Weise eins wird mit dem Universum und dem ihm immanenten Dao.
Das erste gesicherte Datum des Daoismus als Religion ist das Jahr 215 n. Chr., als Cao Cao die Kirche der Himmelsmeister anerkannte. Der Daoismus weist kein geschlossenes oder einheitliches System auf, da er sich auf viele heterogene Quellen bezieht.
Viele Schulen des Daoismus strebten nach Unsterblichkeit, sie sind wahrscheinlich aus schamanistischen Techniken und Unsterblichkeitskulten entstanden (siehe auch Fangshi und Wuismus), die während der Han-Zeit mit der philosophischen Richtung des Daoismus verbunden wurden. Das höchste Ziel des religiösen Daoismus ist die ewige Glückseligkeit als Xian (Unsterblicher), wobei Unsterblichkeit nicht zwangsläufig physisch ist, sondern auch metaphysisch und als nachtodliche Unsterblichkeit zu verstehen ist.
In allen Schulen des Daoismus streben ihre Anhänger danach, zum Ursprung zurückzukehren. Dies wird in Begriffen daoistischer Mystikz. B. die Rückkehr zum Einen, zur Perle, die Rückkehr zum Zustand, bevor es Himmel und Erde gab, oder die Erschaffung des kosmischen Embryo genannt. Diese Rückkehr geschieht, indem der daoistische Adept ein klassifizierendes System benutzt, dessen kosmologische Grundlagen Yin und Yang, die fünf Wandlungsphasen sowie andere numerologische Koordinaten sind, und sich in den Mittelpunkt des so von ihm konstruierten Kosmos begibt und einordnet, verbindet, bestimmt und benennt, um eine Integration zu erreichen und aus der Welt ein Instrument des Geistes zu machen.
Die daoistischen Götter, auch „Unsterbliche“ genannt, haben oft keine Geschichte, andere gehen auf historische oder legendäre Personen zurück, die als bedeutend für die Entwicklung von Land und Volk angesehen werden. Sie stellen aber eher eine Inkarnation von Funktionen als Individuen oder Götter im westlichen Verständnis dar. Neben den Göttern, von denen der Adept geheiligt wird, gibt es auch Götter, über die er befehlen kann. Die Triade der höchsten Gottheiten stellen die Drei Reinen dar.
Das daoistische Paradies liegt im Kunlun-Gebirge im Westen, es gibt jedoch auch noch andere Gefilde der Seligkeit, wie die Penglai-Inseln, auf denen die Wunderpflanze der Unsterblichkeit wächst. Die Höllenvorstellungen des Daoismus wurden aus dem Buddhismus übernommen.
Dem philosophischen Daoismus liegt die Suche nach dem Ursprung des Daseins und die Vermutung des Dao zugrunde. Im Gegensatz zum religiösen Daoismus werden jedoch liturgische Praktiken und Götter- und Dämonenglaube weitgehend abgelehnt. Verschiedene grundlegende philosophische Einsichten werden jedoch auch im religiösen Daoismus geteilt. Außerhalb der modernen Sinologie hat sich in der westlichen Welt, insbesondere seit Richard Wilhelm, eine eher atheistische bzw. pantheistische, geistig geprägte Ansicht des philosophischen Daoismus etabliert, der somit getrennt vom religiösen Daoismus gesehen wird. Die Frage, ob die Nichtbeweisbarkeit des Dao ein gemeinsames Merkmal mit Glauben in Religionen ist, wird individuell unterschiedlich gewertet. Logisches Denken und die Erfassung der Wirklichkeit nehmen im philosophischen Daoismus, in welchem auch agnostische Züge zu erkennen sind, einen sehr hohen Stellenwert ein. Letztlich ist es jedoch das intuitive Schauen, welches als Weg zum Dao dienen kann. Die Autoren der drei Hauptwerke des daoistischen Kanons, Laozi, Zhuangzi, und Liezi, werden entweder als historische Persönlichkeiten oder als eine Gruppe von Philosophen bzw. Schulen aufgefasst. In seinem 1925 veröffentlichten Kommentar legt Richard Wilhelm die von ihm bevorzugte philosophische Ansicht des Daoismus dar, wobei sich auffällige Ähnlichkeiten mit modernen Auffassungen in der Physik, insbesondere der Heisenbergschen Unschärferelation zeigen (u. a. letzter Satz des Zitats):
„Die chinesische Philosophie beginnt nun in Laotse damit, daß sie den Anthropomorphismus in der Religion radikal beseitigt. […] Dennoch ist Laotse weit davon entfernt, den Naturverlauf für etwas Zufälliges, Ungeordnetes zu halten. So ist er von allem Skeptizismus und Pessimismus frei. Er ist nicht ein bloßer Bekämpfer der volkstümlichen Religion, sondern er bringt etwas an ihrer Stelle, das sie ersetzen kann, weil es höher ist und weiter führt. […] Der Konfuzianismus hatte beim Himmel halt gemacht. […] Für Laotse war der Himmel immer noch nicht das Höchste und Letzte. Das Höchste und Letzte war auch über die Persönlichkeit, ja über jedes irgendwie wahrnehmbare und definierbare Sein erhaben. Es war nicht ein Etwas neben oder über anderen Dingen. Es war aber auch nicht ein Nichts, sondern es war etwas, das sich den menschlichen Denkformen schlechthin entzog.“
– Richard Wilhelm: Die Lehren des Laotse
Durch logische Schlussfolgerung kam die daoistische Philosophie zu der Erkenntnis, dass Körper, wie z. B. Pflanzen, Tiere, Menschen, Himmelskörper (oder sogar eventuell existierende Götter, Paradiese u. Ä.) Raum (und Zeit) zu ihrer Existenz benötigen. Die Frage stellte sich immer wieder: „Wenn es existiert, worin existiert es?“ Dieser Raum kann allgemein als „das Grenzenlose“ oder „die Leere“ bezeichnet werden. Laozi weist im elften Abschnitt des Daodejing auf das Nichts, die Leere, hin, welche erst das Werk ermöglicht. Im sechsten Abschnitt heißt es: „Der Geist des Tales stirbt nicht…“ Richard Wilhelm erklärt dazu in seinen Erläuterungen, dass der Kern der Bedeutung der leere Raum zwischen zwei Bergwänden sei, nicht das, was wir gewöhnlich unter dem Begriff „Tal“ verstünden. Damit ist die gleiche Leere gemeint, welche es auch dem Universum ermöglicht, sich grenzenlos auszudehnen.
Im 16. Abschnitt gibt Laozi mit der Aussage „Schaffe Leere bis zum Höchsten!“ den zentralen Punkt seiner Lehre. Die Vereinigung mit dieser Leere, die existiert und alles umfasst, aber nicht greifbar ist, und doch alles Leben ermöglicht, ist ein Ziel, welches im Daoismus in der Meditation angestrebt werden kann. Weitergehende Konzeptionen wie das „Nichtsein“ bzw. das „Nichtseiende“ und das „Unräumliche“) bleiben der individuellen Erfahrung vorbehalten, da sie sich bei der angestrebten (und evtl. erreichten) Auflösung des Ichs (vgl. Liä Dsi, Buch I, Abschnitte 4, 7. u.8; Dschuang Dsi, Buch XVII, Abschnitt 3; Laotse, Abschnitt 56) nicht anderen gegenüber in Worten vermitteln lassen (vgl. Dschuang Dsi, Buch XXII, Abschnitt 4). Die Erkenntnis der Wirklichkeit der Grenzenlosigkeit von Raum und Zeit kann die Ausbreitung des Geistes in alle Richtungen bis zur Auflösung des Ichs (welches in Anbetracht dieses Unfassbaren als unzureichend erscheinen muss) und die Verbindung mit dem Dao in die subjektive Erfahrbarkeit treten lassen. Eine Unendlichkeit bzw. Grenzenlosigkeit von Raum und Zeit lässt darüber hinaus den logischen Schluss zu, dass alles darin sich an jedem Ort und zu jeder Zeit in der Mitte befinden kann, und auch somit eine Verbindung zum Dao gefühlt werden kann. In ihrem Buch 'Die Lehren des Tao' zitiert die Herausgeberin Eva Wong eine Anleitung zur Meditation aus 'Die Schrift des Heiligen Geistes der Geheimnisvollen Grotte über Konzentrierte Betrachtung (Tung-hsüan ling-pao ting-kuan ching)':
„Stille Betrachtung beginnt im Geist. Wenn ein Gedanke aufsteigt, musst du ihn sofort aufhalten, damit du deine Stille aufrechterhalten kannst. Dann entledige dich aller Illusionen, Wünsche und umherschweifender Gedanken.... Konzentriere dich auf den leeren Geist,... Wenn du in deiner Meditation Stille erlangst, solltest du dich bei alltäglichen Aktivitäten wie Laufen, Stehen, Sitzen und Schlafen in diesem Geisteszustand üben. Sei inmitten von Ereignissen und Aufregung entspannt und gelassen. Ob Dinge eintreten oder nicht, dein Geist sollte leer sein.“
– Eva Wong: Die Lehren des Tao
In diesem Sinne kann auch der Schluss des 10. Abschnitts in Buch II bei Zhuangzi interpretiert werden:
„Vergiß die Zeit! Vergiß die Meinungen! Erhebe dich ins Grenzenlose! Und wohne im Grenzenlosen!.“
– Richard Wilhelm: Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland
Den Bezug herausragender Philosophen und Denkern der westlichen Welt wie Epikur, Kant, Hebbel, Spinoza, Heraklit, Bruno, Schelling, Schopenhauer,Schleiermacher, Kierkegaard, Rousseau, Goethe, Tolstoi u. a. zu Gedanken des philosophischen Daoismus hat erstmals Richard Wilhelm in seinen Übersetzungen und Kommentaren in adäquater Form herausgearbeitet. In dem folgenden Zitat aus seinen Erläuterungen zu Liä Dsi (Liezi), Buch V, Abschnitte 1 u. 2 (Gespräch mit vier hauptsächlichen Fragen von 'Tang von Yin' an 'Gi von Hia'), beschreibt Richard Wilhelm die offensichtliche Synchronizität der Antinomien der reinen Vernunft von Immanuel Kant(Angaben in eckigen Klammern entstammen dem Text des Buches V, 1. Abschnitt und sind zur Vereinfachung eingefügt):
„Die erste Frage [»Gab es am Uranfang keine Welt?«] befasst sich mit der ersten Hälfte der ersten Antinomie der reinen Vernunft, wobei sich die Auffassung stark auf die Seite der Kantschen Antithesis neigt. Die zweite Frage [»Gibt es dann im Raum eine äußere Grenze und letzte einfache Teile?«] betrifft gleichzeitig die zweite Hälfte der ersten Antinomie – Grenzen des Raumes – und die zweite Antinomie – Existenz oder Nicht-Existenz letzter einfacher Teile –. Auch hier ist die Hinneigung zur Kantschen Antithesis beachtenswert.Die dritte Frage [»Und wie ist es jenseits der vier Meere?«] behandelt das Problem der durchgehenden Gültigkeit der Kausalität. Obwohl der Wortlaut etwas abweicht, lassen sich die Ausführungen, besonders die der Antwort Gis mit der dritten Kantschen Antinomie zusammenstellen. Hier zeigt sich in der Behauptung, daß die Welt zur Natur gehöre, noch unverhohlener als zuvor die Betonung der Antithese, obwohl auch hier noch mit dem Zusatz »Anderseits übersteigt das auch das Wissen« die wissenschaftliche Vorsicht gewahrt bleibt.... Die vierte der Fragen Tangs bezieht sich darauf, ob es in der Welt einen absoluten Maßstab gibt oder alles nur relativ ist. Man kann sie ihrem Kern nach mit der von Kant aufgestellten vierten Antinomie – schlechthin notwendiges Wesen – zusammenstellen. Auch hier zeigt die Antwort die Richtung auf die Antithesis.“ – Richard Wilhelm: Liä Dsi
Auch dieser Artikel wurde von facebook zensiert. Wahrscheinlich bin ich mit dem chinesischem Staat in Konflikt geraten. So wird die freie Berichterstattung und Meinungsäußerung immer mehr eingeschränkt. Eine sehr gefährliche Entwicklung wenn jemand bestimmt was eine gute und eine schlechte Nachricht.
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